Zu Beginn des neuen Jahres lässt sich unzweifelhaft festhalten, dass diese Dekade, mit einem Fokus auf die westliche Hemisphäre gelegt, bereits bisher deutlich turbulenter und wesentlich ereignisreicher (primär in negativer Hinsicht) als jene davor gewesen ist. Auch das folgende Jahr 2023 dürfte, wenn man den Vorboten und maßgeblichen Wirtschaftsindikatoren dementsprechende Beachtung schenkt, einiges an fast schon historischen Herausforderungen beinhalten.
So kommt es einem seit dem „schwarzen Schwan Moment“ des Frühjahrs 2020 beinahe so vor, dass sich unsere Welt in einem nicht oder zumindest kaum mehr aufhaltbaren Strudel an unabwendbaren Ereignissen befindet.
Unter dem gerade angesprochenen „schwarzen Schwan“ lässt sich nach Nassim Nicholas Taleb ein spezielles Ereignis definieren, welches von Beobachtern des Geschehens nicht vorhergesagt wurde und zusätzlich noch massive Folgen mit sich bringt. Es handelt sich also um ein unerwartetes Ereignis mit gravierenden Auswirkungen. Ein solches Ereignis stellte der Ausbruch der cov-sars-2 Pandemie im Frühjahr 2020 in Wuhan (Volksrepublik China) dar. Im Zusammenhang damit sind, auch abseits der gesundheitspolitischen Problematik, ganz andere Krisenherde entflammt. Es scheint nämlich fast so zu sein, dass es manchmal nur einen Tropfen benötigt, der das Fass zum Überlaufen bringt. Mittlerweile befinden wir uns nämlich in einer Welt multipler Krisen (Rekordverschuldung, Inflationsraten auf historischen Höchstständen, massive Geburtenrückgänge, gewaltvolle und kriegerische Auseinandersetzungen, etc.). Auf vielen unterschiedlichen Ebenen wirkt es zwischenzeitlich beinahe schon so, als ob Dinge ins Rollen geraten sind, die nicht mehr aufzuhalten sind.
Nichtsdestotrotz sollte man sich darum bemühen, zumindest mit einem Funken an Optimismus auf das gerade erst begonnene Jahr 2023 zu blicken. Schließlich waren Zeiten eine sallumfassenden Wandels bzw. eines Paradigmenwechsels für die Mutigen stets Zeiten vieler Chancen und Möglichkeiten. Gerade solche Situationen oder Augenblicke waren stets in der Geschichte der Menschheit Zeitpunkte, über sich hinauszuwachsen und sich weiterzuentwickeln. Möglicherweise benötigt das menschliche Individuum ein fast schon überproportionales Ausmaß an Druck, um tatsächlich nachhaltig Veränderungen zu akzeptieren und sich dementsprechend anzupassen. Grundsätzlich liegt es mit Rückblick auf die historische Betrachtung nicht gerade in der DNA der Spezies Mensch, ohne absolute Notwendigkeit nach ständiger Optimierung zu streben.
Die elementarste Grundvoraussetzung, um von diesem anstehenden Paradigmenwechsel nicht gänzlich überrannt zu werden, besteht, metaphorisch gesprochen, prinzipiell darin, sich überhaupt auf das neue Spielfeld zu begeben und nicht tatenlos an der Seitenlinie zuzusehen, wie sich die Dinge in rasender Geschwindigkeit verändern. Sehr treffend brachte es bereits Winston Churchill vor knapp hundert Jahren mit seinem bekannten Worten „never let a good crisis go to waste“ ein solches Geschehen auf den Punkt.
Das vergangene Jahr 2022 war kurzum an den internationalen Finanzmärkten und Börsen von Turbulenzen, Volatilität und final von eher erheblichen Verlusten in nahe zuallen geläufigen Asset Klassen geprägt. Entscheidend dafür waren unter anderem der historisch rasante Anstieg der Inflationsraten (auf fast globaler Ebene!) und das aggressive Anheben der Leitzinssätze der Notenbanken, was für viele von uns fast nicht (mehr) vorstellbar war. Die überraschend rasanten Inflationsanstiege und Zinsanhebungen haben dabei die Anleiherenditen in unerwartete Höhen schnellen lassen, während Aktien und festverzinsliche Wertpapiere stark eingebrochen sind. Diese Volatilität steht dabei im krassen Gegensatz zu den Dekaden davor. Nicht zu vergessen sind im Zusammenhang aber auch die vielen anderen Verwerfungen und unerwarteten Entwicklungen des letzten Jahres.
Allerdings scheint es mittlerweile absehbar, dass die Inflationsraten nicht mehr so stark steigen wie in den letzten Monaten und die gravierenden Leitzinserhöhungen tatsächlich Wirkung entfalten. Wie der anliegende Chart des CPI (= Consumer Price Index) aus den USA verdeutlicht, ist bereits ein starkes Abkühlen der Inflationsraten (ca. 6,5% für Dezember 2022 prognostiziert) erkennbar. Zur Erinnerung, der Leitzinssatz in den USA liegt mittlerweile bereits bei 4,25-4,50%. Auch in Europa dürfte eine solche Entwicklung abschätzbar sein, wenn auch aller Voraussicht nach nicht in diesem Ausmaß.
In Referenz auf die gerade beschriebene Entwicklung der Inflationsraten dürften wir im Jahr 2023 durchwegs einen Rückgang der Inflation erleben. Diese (zwischenzeitliche?) Abkühlung der Inflation könnte aber trotz alle dem deutlich über den eigens gesteckten Zielvorgaben der Zentralbanken von ca. 2% liegen. Trotzdem ist es jedoch sehr gut möglich, dass die Zentralbanken von weiteren, erheblichen Zinserhöhungen Abstand nehmen werden. Jedoch dürften die Leitzinssätze deutlich über dem Vorkrisenniveau verweilen.
Dies allerdings vielmehr auf Grund der Tatsache, dass gewisse wirtschaftliche Fehlentwicklungen der jüngsten Vergangenheit schlagend werden bzw. der wirtschaftliche Schaden sichtbar wird. Konkret heißt das, in eine längerfristige Rezession (=Wirtschaftsabschwung) oder möglicherweise sogar Stagflation (= Zeitspanne einer wirtschaftlicher Stagnationsphase gepaart mit einem höheren Niveau an Inflation) abzugleiten. So ist auch beispielsweise bei Berücksichtigung zahlreicher bedeutender Wirtschaftsindikatoren (z.B. Einkaufsmanagerindex, etc.) eine gewisse Abkühlung bereits ablesbar. Dazu gesellt sich mittlerweile auch ein faktischer Anstieg an Insolvenzanträgen und Reorganisations- und Umstrukturierungsplänen diverser Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Branchen. Bei derlei Entwicklungen war es bisher gelebte Praxis, dass die Zentralbanken die Leitzinsen senkten und zusätzlich zielgerichtet fiskalpolitische Maßnahmen umsetzten. Mittlerweile dürften die Zentralbanken allerdings kaum mehr in der Lage sein, auf ähnlich sinnvolle Art und Weise fiskalische Anreize zur Konjunkturbelebung umzusetzen. Schließlich spielen die in den letzten Jahren gemachten Defizite eine immer größere Rolle und zusätzlich werden die Zentralbanken Jahre brauchen, die aggressiv betriebenen quantitativen Lockerungsmaßnahmen zu revidieren. Hält man sich dabei an die Aussagen des namhaften Experten Larry Fink (CEO von BlackRock), dürften die Zentralbanken in Zukunft nicht mehr in der Lage sein, wie bisher üblich, bei Konjunkturabschwächungen sofort zu Hilfe zu eilen. Eine abermalige Belebung der Konjunktur dürfte sich daher für 2023 als überaus schwierig gestalten.
Abseits der rein wirtschaftlichen Erwartungshaltung für das Jahr 2023 dürfte sich die bereits in Ansätzen erkennbare geopolitische Neuorientierung weiter entfalten. Mittlerweile sprechen nämlich nicht gerade wenige namhafte Experten bereits von der Entstehung einer „neuen Weltordnung".
Die bisher vorherrschende unipolare Weltordnung der westlichen Hemisphäre könnte sich langsam doch verschieben und in der weiteren Folge multipolare Züge annehmen. So dürfte diese neue Weltordnung auch tendenziell von einer globalen Fragmentierung in miteinander konkurrierende Machtblöcke geprägt sein. Eine solche gigantische Umwälzung des Status quo hat selbstverständlich auch Auswirkungen auf die wirtschaftliche wie auch politische Entwicklung.
Durch diese sich neu entwickelten Machtstrukturen scheinen sich auf wirtschaftlicher Ebene neue Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage, wenn es um die Distribution von produktionsnotwendigen Ressourcen geht, aufzutun. Ein plakatives Beispiel dafür stellt die politische Reaktion auf Russlands militärischen Einmarsch in die Ukraine dar. Die westlichen Sanktionen haben ein gewisses Streben nach wirtschaftlicher Autarkie heraufbeschwört und dies auf Seiten aller Beteiligten. So strebt Europa nach dem nahezu gänzlichen Bruch aller Beziehungen zu Russland auch seine Abhängigkeit auf russische Energie (Erdöl & Erdgas) zu minimieren, während Russland bestrebt ist, neue Handels- und Kooperationspartner mit ähnlichen Interessen und Vorstellungen im Süden (also vor allem in Volksrepublik China und Indien) zu finden.
Auch in Bezug auf das Verhältnis der USA zur Volksrepublik China offenbart sich eine immer angespannter werdende Beziehung. Denn der strategische Wettbewerb um die Vormachtstellung der Welt hat sich merklich verschärft. Die härter gewordene Haltung der USA gegenüber der Volksrepublik China trifft in Washington auf überparteiliche Unterstützung. Das ist insofern von Relevanz, da die USA in politischer Hinsicht so stark gespalten und auseinanderdividiert ist wie seit langem nicht. Jedoch scheinen sich diese teils gravierenden Meinungsverschiedenheit in Bezug auf den strategischen Wettbewerb gegen die Volksrepublik China teils in Luft aufzulösen. Die USA versuchen mit immer größer werdendem Nachdruck, Chinas Zugang zu Spitzentechnologie zu beschränken. Ein Unterfangen, welches sich in einer fastschon überbordend globalisierten Welt jedoch mehr als nur schwierig gestaltet. Ganz in diese Kerbe schlagen auch die Ergebnisse des jüngsten Kongresses der kommunistischen Partei in China, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Folgt man den Aussagen des Parteikongresses, dann dürfte neben dem Streben nach Aufstieg und permanentem Wirtschaftswachstum ein neues Element hinzutreten. Auch wenn China 2023 ein deutliches Wirtschaftswachstum erwartet (das nahezu gänzliche Aufheben der „Zero Covid Politik“ wird dabei auch eine gehörige Rolle spielen), ist es der Politik in Peking ein Anliegen, einen noch stärkeren Fokus auf die Selbstversorgung in Bereiche wie Energie, Produktion von Nahrungsmitteln und Technologie zu legen.
Die gerade geschilderten Entwicklungen führen deutlich vor Augen, dass die Welt in eine Neuorientierungsphase eingetreten ist, die von sowohl wirtschaftlichen als auch gesellschaftspolitischen Veränderungen geprägt sein wird. Die geopolitische Fragmentierung in sogenannte „Wirtschafts- und Werteblöcke“ wird, langfristig gesehen, höhere Risiken bei der Veranlagung mit sich bringen. Die Zeit der nur kurzfristigen Auswirkungen auf eine insgesamt sehr positive Entwicklung des Marktgeschehens der letzten Jahre dürfte somit vermehrt in den Hintergrund treten.
Die sich im Wandel befindende Welt wird im Jahr 2023 aller Voraussicht nach von deutlich größerer Volatilität und makroökonomischen Veränderungen, gepaart mit insgesamt höheren Inflationsraten, geprägt sein.
In so einem Umfeld wird vermutlich eine gewisse Anpassung an ein in gewisser Art und Weise neues Anlagekonzept elementar sein, um von den langfristigen Veränderungen profitieren zu können. Häufigere strategische Umgruppierungen und die primäre Ausrichtung auf einzelne Sektoren, Regionen und Subklassen dürften temporär mehr Erfolg versprechen als die grundsätzliche Marktentwicklung. Eine solche Umorientierung erfordert in einem mittlerweile schwierigen Umfeld allerdings auch zusätzlich noch mehr Aufwand, Zeit und Engagement.
Bei all den beschriebenen Ausführungen dieses Ausblickes handelt es sich lediglich um die persönliche Meinung und Ansicht des Autors, ohne Gewähr auf Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität. Selbstverständlich werden nicht wenige ein (gänzlich) anderes Verständnis der Dinge an den Tag legen, was auch gut ist. Dieser Beitrag sollte unter diesem Aspekt also auch als Anstoß eines Dialoges dienen, in dem man beginnt sich über unterschiedliche Positionen und Ansichten mit offenem Ausgang zu unterhalten.